Zurück zur Natur

Prolog
Zurück zur Natur
Aber bitte zügig!
Deshalb bauen wir am besten gleich dort eine neue Anschlussstelle zur Autobahn,
mit Rastplatz, Tankstelle und Spielplatz für die Kinder,
die Wiese und der Wald sind hier besonders grün,
Die Papierkörbe in Reih und Glied,
Genügend Parkplätze sind vorhanden,
und ganz wichtig: Nicht weit weg von Berlin!
Hinweisschilder lenken den Verkehr.
Auf heißem Teer
Richtung Sanifair
Des Sommers Last
O Schreck
Brennt uns fast
Die Epidermis weg.
Doch so ist das nun mal,
Von Reue keine Spur,
Die Erholung ruft,
Zurück zur Natur!

1.
Schnell ins Kühle!
Dicht an der Bar
die bequemen Stühle.
Bitte ein Steak Tartar!
Dazu Pommes, ein Snickers
eine Cola, zwei Bier,
und drei kleine Feiglinge,
Ach was, ich nehm vier.

Rustikales Ambiente,
nach DIN akkurat
und klebrige Fliegenfänger
überm Nudelsalat.
Die perfekte Synthese von
Tradition und Komfort,
die Servietten kariert,
DJ Ötzi im Ohr.

Die schwülen Gerüche
vom offenen Herd
von Theke und Küche:
Wer sich hier beschwert,
hat keinen Sinn für Freiheit,
Für Glück und Kultur!
Das wahre Leben -
Zurück zur Natur!

2.
Ach schau, da draußen,
der Rasen, der Wald,
die Feiglinge sind alle,
und die Pommes schon kalt!
Doch so schmeckt halt Urlaub!
So hält man es aus!
Wie lange fahren wir noch?
Bloß nicht noch mehr Staus!

Die Kinder sind spielen,
der Service ist toll,
Hier ist es gemütlich,
die Fliegenfänger sind voll.
Kannst Du heut mal zahlen?
Ich spür Übelkeit.
Jetzt mach doch mal langsam,
Mensch, wir haben doch Zeit!

So ist er, der Sommer,
das Beste vom Jahr,
dem Sinn unsres Daseins
sind wir nie so nah.
Kein Chef auf der Lauer,
kein Zwang, keine Uhr,
so einfach wie möglich:
zurück zur Natur!


3.
Die Tür geht auf
und Bustouristen,
diie wie alle wohl sehr
die Natur vermissten,
woll'n sich erholen
an sauberen Tischen,
an Küchengerüchen
die Nasen erfrischen.

Die letzten Plätze
werden eilig besetzt,
DJ Ötzi wird lauter,
die Bedienung gehetzt.
Alles wird weggespachtelt,
gespült wird mit Wein,
und geht wirklich nichts mehr:
Der Feigling muss sein!

Die Tische sind voll,
man ist gut gelaunt,
die Menge an Fliegen
wohl manchen erstaunt.
Doch so ist's auf dem Lande:
ursprünglich und pur,
man fühlt sich wie früher.
Zurück zur Natur!


4.
Doch nach einigen Stunden
Naturverbundenheit
wird manches Gesicht bleicher,
macht sich Unwohlsein breit.
Ein Reflex der Natur,
denn leider ist nämlich
der Mix an Gerüchen
nicht allen bekömmlich.

Bratfett und Schweiß,
körpereigene Gase,
Nikotin und Parfüm
verdrehen die Nase.
Sie kneten die Sinne,
sie zerren am Magen,
und den Fliegenfänger im Nudelsalat
hat auch nicht jeder vertragen.

Und so beginnt,
man errät es nicht schwer,
eine große Safari
ins Lande Sanifair.
Eine üble Karawane
zieht ihre Spur,
denn auch jedes Essen will
zurück zur Natur.

5.
So mancher, er wähnt sich
im Wunsch-Zielgebiet,
doch kurz davor weiß er nicht,
wie ihm geschieht:
Die Pommes, der Snickers,
oder was es mal war,
es gibt ein großes Wiedersehen,
auch mit Feigling und Tartar.

Große Gefäße sind auf
einmal begehrt, doch
der Zugang zu Sanifair wird
plötzlich verwehrt.
Verwirrung greift um sich,
man zeigt sich schockiert,
da ein Ex-Mittagessen
das Drehkreuz blockiert.

In Zeiten wie diesen,
da gibts kein Pardon,
man scheißt auf das Wechselgeld
und den Sanifair-Bon.
Ein Rutschen und Gleiten
über Fliesen im Flur,
man flieht Richtung Ausgang,
zurück zur Natur.

Epilog
Und aus der heimeligen Raststellen-Idylle
bricht es hervor,
eine Welle der Dünndarm-Verwirrten, Frischluft-Bedürftigen
und Verdauungsverweigerer.
Hier atmen sie wieder,
hier sieht man sie springen
hinüber zur Wiese,
so kann es gelingen,
den Rasen zu düngen.
Nach einem Zapfsäulen-Parcour
bringt man was man kann
zurück zur Natur!

Man fühlt sich erleichtert,
erlöst und befreit,
ein Tag geht zu Ende,
Erholung braucht Zeit!
Ja, hier ist es schön, an der Anschlussstelle zur Autobahn,
mit Rastplatz, Tankstelle und Spielplatz für die Kinder,
Zwar ist manches anders, als es vorher schien.
(Warum ist der Rasen bloß immer so grün?)
Doch die Papierkörbe in Reih und Glied,
Genügend Parkplätze sind vorhanden,
und ganz wichtig: Nicht weit weg von Berlin!

Mancher bleibt nur zu Hause,
ein andrer liebt die Tortour.
Am Ende führ'n alle Wege
zurück zur Natur.


Martin Tatzberg 2023